Interview zu Räuber

Warum wurde das Thema „Wohnen“ so zentral für den Roman Räuber? Warum Berlin als Handlungsort?

Einer der besten Songs über Leben, Lieben und Leiden in der Stadt stammt von Bobby Womack. In „Across a 110th Street“ singt er: In every city you find the same thing going down; Harlem is the capital of every ghetto town, weil die Geschichten, die er erzählt, universal sind. In meinem Roman ist es genauso. Ich habe in den vergangenen 20 Jahren in St Petersburg, Cambridge, Bogota, Frankfurt, London, Miami, Hamburg und Berlin gewohnt und mein Mann arbeitet in Lagos. In jeder dieser Städte passiert das, wovon „Räuber“ handelt: Der Kampf um Lebensraum, um Freiheit, um das Recht, erhobenen Hauptes durch die Straßen zu laufen. Als ich das erste Mal in Berlin lebte, gehörte die Stadt noch allen, die sie aushalten konnten. Das ist mittlerweile vorbei.

Mit dem Bauarbeiter Olli und der Journalistin Amelie treten zwei Charaktere aus grundverschiedenen Lebenswelten aufeinander – nicht ohne Schwierigkeiten. Inwiefern sind die Probleme der Protagonist innen symptomatisch für die oft radikal unterschiedliche Lebensrealität einzelner Gesellschaftsschichten in Deutschland?

Dass die Städte ungleicher, die Armen ärmer und die Reichen reicher werden, ist gesellschaftlich bedauernswert. Für Geschichtenerzähler aber ist es eine große Zeit, weil aus dem schärfer werdenden Konflikt mitreißende Dramen und faszinierende Figuren entstehen. Es ist der Hintergrund der Ungleichheit, vor dem Olli Leber und Amelie Warlimont in eine Spirale aus Verzweiflung, Leidenschaft und Verbrechen geraten, aus der sie ohne den Anderen nicht mehr herausfinden.

In Räuber wird der Kampf gegen systematische Gentrifizierung und die Methoden von Immobilieninvestoren differenziert geschildert – muss man heute Idealismus oder Wahnsinn mitbringen, um etwas ändern zu wollen? Und was treibt die Protagonist innen in Räuber besonders an?

Fragen Sie Olli Leber. Weil er nicht vom Schreibtisch aus über das Problem der sozialen Säuberung nachdenkt, sondern direkt davon betroffen ist, muss er weder idealistisch sein, noch wahnsinnig, um etwas dagegen zu tun. Er ist verzweifelt, das reicht. Wenn Menschen verzweifelt sind, wachsen sie auf schier unglaubliche Weise über sich hinaus. Amelie Warlimont lässt sich dabei von ihm mitreißen – auch, weil sie meint, als Journalistin mit schuldig zu sein und zu lange untätig bei der Enteignung von Wohnraum zugesehen zu haben.

Der Bauarbeiter und die Journalistin gegen den Rest der Welt – will der Roman anklagen oder Mut machen?

Oh nein, anklagen ist nicht mein Geschäft. Jede U-Bahn-Fahrt morgens um fünf klagt mehr an als mein Buch, wenn man in die erschöpften Gesichter der in die Innenstadt fahrenden Bauarbeiter, Putzleute und Krankenschwestern guckt. Ich will nur eine spannende Geschichte erzählen. Wenn die Leser nebenbei dazu ermutigt werden, ihre Vorstellungen von Recht und Unrecht, Richtig und Falsch in Frage zu stellen – umso besser.